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Texte

Chaos und Ordnung
 

von Günter Kowa

Halle, Mitteldeutsche Zeitung, 3. 9. 2011

UTE LOHSE Die hallesche Künstlerin wird am Sonntag 70 Jahre alt. Ihr Weg führte von der Keramiklehre zu einer eigenwilligen Spielart der Konkreten Kunst.

    Es kostet viel gutes Zureden, dass sich Ute Lohse für ein Porträtfoto bereitfindet. Aber es muss sein, die hallesche Künstlerin feiert morgen ihren 70. Geburtstag. Schließlich kennt man sie, offen wie sie ist für die Kunst anderer und keine Ausstellungseröffnung und keinen Burg-Rundgang auslässt, wo sie im Gespräch manch kluge Beobachtung beizusteuern weiß. Doch selber möchte sie lieber gar nicht beachtet sein.
    „Ich mache doch eigentlich gar keine Kunst“, protestiert sie, schränkt aber ein: „Wichtig an meiner Arbeit ist nicht die Kunst, sondern das Tun“. Aber sie bedauert doch, dass die Broschüre, die ihr das Land Sachsen-Anhalt mit Texten von Johannes Stahl und Cornelia Wieg gesponsert hat, bis vor kurzem nirgends erhältlich war. Dass zur Feier des Tages keine noch so kleine Ausstellung ihres Werks zu sehen ist, nimmt sie hin.

    Also kein Aufhebens um ihre Person, machen wir es kurz. Immerhin gibt es Arbeiten von ihr, die sind öffentlich genug. Die haushohe Fresko-Malerei im Treppenhaus der Halberstädter Arbeitsagentur zum Beispiel, 1997 geschaffen, oder die nicht minder imposanten Beton-Plastiken an der Helios-Klinik Schkeuditz von 2005. Ihr Kunstbegriff kann sich auch in der Zusammenarbeit mit anderen Akteuren erfüllen. 1994 gestaltete sie in der Moritzburg die Ausstellung „Plastik im 20. Jahrhundert“ mit Raumteilern und Wänden, bespannt mit Zeitungspapier. Das versetzte die Skulpturen in ein dicht gewebtes, aber unregelmäßiges Raster und zugleich einen Gegenwartsbezug. Und bei der jüngsten Gemeinschaftsausstellung hallescher Keramikerinnen hat sie die titelgebende „Musterküche“ gezimmert.

    „Konkrete Kunst“ ist der Begriff, der zu Ute Lohses Werk am ehesten
in den Sinn kommt. Die historischen und die heute noch aktiven Repräsentanten dieser Strömung sehen in geometrischen Körpern ein Gleichnis für die konstruktiven Gesetze der Natur. Ute Lohse sagt, sie erkenne die Verwandtschaft, aber dazugehören will sie zu der
Strömung nicht. Auch die Reminiszenz der Plastiken von Max Bill mit ihren Ursprüngen aus den raumplastischen Etüden des Bauhauses scheint in ihrer Skulptur der „Sieben Module“ mehr der äußerlich ähnlichen Beschäftigung mit übereinander getürmten Würfeln geschuldet zu sein. Ihr genügt die skulpturale Form nicht, sie spielt mit ihnen unter anderem in Lichtprojektionen.

    Die Verwandtschaft liegt aber in der Suche nach der Ordnung hinter den Dingen, ebenso ihre Verwandlung unter den Bedingungen der Kunst. In Zeichnungen kann Ute Lohse sich bis zur Besessenheit am Widerstreit von Räumlichkeit und Fläche abarbeiten. „Schichtungen“ heißen solche Blätter oder „Felsen Bretagne“, in der ein tektonisches Konstruktionsprinzip nicht zum Regelmaß wird, sondern wuchert - ein Prinzip, das sie in Halberstadt zur monumentalen Kaskade verschachtelter, dreidimensionaler Körper ausweitet.

    Doch sie findet auch zu minimalistischer Strenge. Das „Terrakelum“ in Schkeuditz tut in entwaffnender Einfachheit genau das, was sie vorgibt: „Himmel und Erde zu verzahnen“. Dabei durchbricht die Reihung der abwechselnd aufrecht und umgekehrt gestellten, kantigen U-Formen die strenge Ordnung durch ungleiche Abstände. Diese innere Lebendigkeit erfüllt auch ihre modularen Gitter- und Kastenskulpturen. Sie erproben ein Wachstum in prinzipiell endloser Fortsetzbarkeit in Tiefe, Breite und Höhe. So leistet sie einen Beitrag von eigenwilliger, manchmal exzentrischer Natur zur Konkreten Kunst. Das hat auch mit ihrem Werdegang zu tun, vom Zeichenzirkel zur Feinmechaniker-Lehre zur Hochschule für industrielle Formgestaltung, nebst Facharbeiterlehre in Bürgel. Von 1974 bis 1978 teilte sie eine Werkstatt mehr neben als mit Gertraud Möhwald. Per Zufall entdeckte sie die Wirkung von Kratzspuren als grafische Oberflächengestaltung von Keramik. Mittlerweile spielt sie Netz- und Gitterstrukturen als Ordnungsprinzipien nicht mehr nur im Ton, sondern in Skulptur, Fotografie, Lichtprojektionen durch.

    In diesem Sinn hat sie 1995 am Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie in Halle auch einen Garten gestaltet. Wegen mangelnder Pflege ist vom Ordnungssinn der Kunst unter dem wuchernden Treiben der Natur nicht mehr viel zu erkennen, aber irgendwann wird man sich auf dieses Werk besinnen.

Seltene Erden

zur Kunst von Ute Lohse

 

von Dr. Johannes Stahl

Einer Künstlerin, die mit Ton umgeht, traut man gern ein enges Verhältnis mit Materie an sich zu – eher als es bei anderen Medien und deren technischen Ausdrucksformen der Fall wäre. Der direkte und manuelle Umgang mit einem grundsätzlichen Material zeichnet die Beschäftigung mit Irdenem aus. Werkzeuge spielen ihre Rollen, sind gegenüber dem unmittelbar Händischen 
1 aber zunächst sekundär. Weniger häufig sehen Betrachtungen dieser Fragestellung eine solche Künstlerin deshalb auch als regelrechte Forscherin im Materiellen: das gilt weitgehend als Domäne der Physik und Chemie. Hier prägen wissenschaftlich formulierte Fragen wie nach dem Charakter von Materie als Korpuskel oder Welle 2 das Bild der Forschung. Dem Machen mit der Hand ordnet man dagegen üblicherweise Kategorien zu wie Emotion oder den Körper mit seinen gegebenen Proportionen und seinen naturgemäß angelegten Gesten. Handschrift ist zu eigenwillig, zu individuell verräterisch, um fraglos als Mittel des Forschens akzeptiert zu werden. Auch Künstler sind auf der forschenden Suche nach den inneren Zusammenhängen von Materie und Form: natürlich, gerade sie.
   Ute Lohse spielt mit diesen Einordnungen. Ihre Teller sind als sich logisch entwickelnde Serie betrachtbar, in der sich eine kristalline Struktur aus der Mitte des Runds heraus entwickelt und ein deutlich geometrisches Eigenleben an den Tag legt. Von diesen kleinformatigen Kabinettstücken ausgehend setzt sich diese künstlerische Idee ins Monumentale fort, die Teller weit hinter sich lassend oder – medial gewendet – ins zeichnerisch Feine. Dann tauchen vergleichbare Formen wiederum in Wandmalerei auf und artikulieren ihre Herkunft vom Punkt über die Linie zum Kristall in der Gestaltung der Farbflächen. 

   Neben dieser Neigung zum Geometrischen und der formalen wie medialen Fortentwicklung eines konstruktiv-plastischen Gedankens bestimmt ein enges Verhältnis zur Natur und ihrer Anschauung das künstlerische Arbeiten Ute Lohses. Sei es, dass eine ins Unregelmäßige erweiterte Anordnung die Strenge der Konstruktion aufbricht oder dass das Licht eine neue Ordnung der Dinge anbietet: diese Geometrie ist kaum ohne eine zusätzliche und schwer errechenbare höhere Weisung und spielerisch-leichte Unordnung denkbar.

1   Umfassend begreift diesen Terminus Richard Sennett: Handwerk, Berlin 1997.
2  Dabei hat die bildende Kunst durchaus ihre Rolle einnehmen können, wo es an der Visualität grundlegender Fragen haperte. So konnte beispielsweise der am Bauhaus ausgebildete Hans Haffenrichter dem visuellen Vorstellungsvermögen des Physikers Werner Heisenberg weiterhelfen. Hans Haffenrichter, Spuren von Natur und Kosmos, Ausstellungskatalog Städtische Galerie Würzburg 1992, S. 20 ff.

Mediale Wellenbewegungen


Seit der Flutwelle, die einen Teil des barocken Lissabon vernichtete, haben die Schrecken der Tsunamis immer wieder politische und gestalterische Maßnahmen hervorgebracht, sowohl im Erforschen als auch in der visuellen Darstellung. So ließ der Marquis von Pombal nach der Kata­strophe am Modell Versuche durchführen, um die Neubebauung in Lissabon sicherer zu machen. Heute installiert man Frühwarnsysteme und erläutert die Funktionsweise in den Medien. Wenn trotzdem gleichzeitig noch immer Houkusais große Welle eine Ikone dieser Naturgewalt darstellt, so kann das nicht zuletzt daran liegen, dass fotografische Darstellungen zwar die Auswirkungen wiedergeben, selten genug aber den unmittelbaren Eindruck dieser Ereignisse einfangen können. Vom „Brunnenentwurf“ lässt sich ein ikonografischer Bezug zu Hokousai denken, der sich mit einer solchen Fragestellung zwischen Naturgewalt und ihrer Darstellbarkeit berührt.
   In der ihr eigenen Art formuliert Ute Lohse eine Annäherung an die runden Formen aus kleinen Einheiten, in denen je drei Quader zusammen eine offene kubische Form bilden. Fast digital mutet das an, wie die Intervallschachtelung 
3 theoretisch immer näher an die mathematisch berechenbare Form einer Kurve heranreicht, diese aber praktisch nie erreichen kann.
   Diese Differenz ist mediengeschichtlich nicht unwichtig. Seit jeher befinden sich abbildende Medien wie die Malerei, die Grafik, die Fotografie oder digitale Erfassung der Welt in einem Prozess, wo die Verfeinerung der Darstellung einen Gradmesser des abbildungstechnisch Erreichten markiert. Gerade für die technischen Bildmedien ist die Frage nach der Auflösung zentral 
. Je genauer diese meist digitalen Bilder berechnet werden können, desto größer die Anwendungsfelder, in Militär, Wetter oder Verkehr etwa. In der digitalen Fotografie rührt die eigentümliche Rasterung von einer rektangulären Grundstruktur her. Sie zu überspielen, bis es dem menschlichen Auge genügt, ist eines der Wett­bewerbsfelder für die Fortentwicklung der Technik. Ute Lohses „Brunnenentwurf“ spielt in solche Vorgänge hinein. Diese Welle ist nicht nur figurative Darstellung einer Naturgewalt, sondern reflektiert bildlich einen mikroenergetischen Aggregatzustand. Diese irdene Machbarkeitsstudie bringt als medialer Sprung ihre eigene Note in diese gängige Diskussion. Und wenn um diese Arbeit Wasser fließt oder sich an ihr bricht, wird sich diese Gleichung noch um einen Faktor vermehren.

3  „Das Intervallschachtelungsprinzip wird besonders in der Analysis in Beweisen benutzt und bildet in der Numerischen Mathematik die Grundlage für einige Lösungsverfahren. Das Prinzip ist Folgendes: Man fängt mit einem Intervall an und wählt aus diesem Intervall ein Intervall, das komplett in dem vorherigen Intervall liegt, wählt dort wieder ein Intervall heraus und so weiter. Werden die Längen der Intervalle beliebig klein, konvergiert also ihre Länge gegen Null, so gibt es genau eine reelle Zahl, die in allen Intervallen enthalten ist.“ http://de.wikipedia.org/wiki/Intervallschachtelung; abgerufen 2009-12-16
4  Dabei verändern sich die Maßstäbe und Standards ständig – seltener wegen der Evolution des menschlichen Auges, eher wegen wirtschaftlicher Vorgänge. Die Bildauflösungen in Foto und Film werden immer feiner und erreichen allmählich das Niveau ihrer analogen Vorbilder.

Haptik des Lichts


Der Zwiespalt zwischen Analog und Digital bleibt keineswegs ohne Auswirkungen, wenn Ute Lohse fotografiert. Die eigene Netzhaut bildet nicht nur als Wahrnehmungsinstrument, sondern vor allem als Kriterium der produzierenden Anschauung den Rahmen. Besonders gut lässt sich diese Überlegung anhand der Rolle nachvollziehen, die das Licht für die Kunst Ute Lohses einnimmt. An den Kanten
der Arbeiten bricht es sich, und bereits in den frühen Tellerarbeiten fällt auf, dass hier die jeweilige Behandlung mit Engoben oder Glasuren beson­dere Oberflächen erzeugt. Das Licht ist dabei ein wesentlicher Faktor, um zu weiteren Feldern zu führen. Resultiert genau daraus nicht auch der sparsame Umgang mit Farben, die Reduktion auf eine Skala, die nahe beim Material siedelt?
Als Lichtbildnerin schaut sich die Künstlerin bei der Natur die Lichtregie ab. Schattenfugen brechen und konturieren gleichzeitig die Formen; die wechselseitige Verschattung ist ein wohlkalkuliertes Element im Gefüge der stadträumlichen Arbeit „Terrakelum“. Licht lässt das Material je weich oder hart, statisch oder dynamisch erscheinen. Ihre Fotos geben Aufschluss darüber, wie das Licht fällt und so dem Material Eigenschaften überstreift. Der Auslöser hilft dabei, diesen Moment abzufangen 
, wissend, dass sich gemeinsam mit dem Licht in wenigen Augenblicken die erscheinende Materialität schon wieder geändert haben wird. 

5  Nicht zu vergessen, dass ja auch die Wette in Goethes Faust dem Festhalten eines Augenblickes gilt, mit erheblichen Folgen für das Materielle und Seelische. Technisch: In der Dunkelkammer verleiht das Licht der ursprünglichen Aufnahmesituation eine wiedergewonnene Existenz. Die Speicherung ehemaliger Lichtinformationen in den magnetischen Anordnungen der digitalen Bildspeicherung macht ein anderes Spiel auf, das materiell noch kaum ausgelotet ist.

Angewandte Kunst // Applied Arts


Dass sich im Werk Ute Lohses immer wieder Auftragsarbeiten finden, hat nicht nur mit materiellen Dingen künstlerischer Existenzweisen zu tun. Die umfassende Beschäftigung mit der Inszenierung von Ausstellungen oder der Kunst am Bau hat ihren Grund auch darin, dass zur Erdung von Kunst
ein geklärtes und intensives Verhältnis mit ihrem Publikum gehört. Ohne ihre eigenen künstlerischen Anliegen aus den Augen zu verlieren, ist für jedes ihrer Werke wichtig, wie es sich mit den Kontexten des Orts und der jeweiligen Aufgabe verbindet. Über funktionale Zusammenhänge hinaus haben die Schattenfugen eines von Ute Lohse geschaffenen Ofens mit dem Irdenen und dem Feuer zu tun. Das Spiel des stadträumlichen Paravents trägt in „Terrakelum“ den unbefangenen Blick des Passan­ten in weitere Dimensionen. Was ist oben, was unten, wie stehen die Elemente räumlich zueinander? Letztlich zielt das auf die Intensität, in welcher Benutzer mit den Arbeiten und der eigenen Wahrnehmung von Stadtraum umgehen können.
   Das in digitalen Linien aufgelöste und sich permutativ wiederholende Porträt kennzeichnet persön­­l­iche Facetten des Porträtierten und oszilliert zwischen dem subjektiv eingefangenen Eindruck jeder einzelnen Fotografie einerseits und andererseits der  Reduktion durch die lineare Umsetzung und ­die modularisierende Anordnung.
   Die geometrische Struktur an der Wand der Arbeitsagentur erzeugt ein Gefüge aus Anschauung, Bewegung und Aspekten wie drinnen und draußen. Dabei können diese Annäherungsweisen in ihrem Zusammenhang künstlerische ebenso wie soziale Fragen stellen. Dann weisen diese Formen in ein Wechselverhältnis, das den Alltag der Agentur und ihrer Besucher langfristig begleiten kann.

Ad Infinitum


„Wenn es aber Wirklichkeitssinn gibt, und niemand wird bezweifeln, dass er seine Daseinsberechtigung hat, dann muss es auch etwas geben, das man Möglichkeitssinn nennen kann.“ Bei Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“ führt das in die berühmt gewordene Folgerung: Alles könnte auch anders sein. In Ute Lohses Werk folgt daraus alles andere als ein Beliebigkeitscredo. Ihre Tellerarbeiten entwickeln eine Exegese plastischer Grundformen. Der Infinitiv dieser Teller markiert nicht nur die Nullstellung dieser uralten Aufgabe, sondern auch das potentiell Unfertige und im Wortsinn Unbegrenzte. Neben der Feststellung einer und gleichzeitig anderer Möglichkeiten schwingt mit, dass die beteiligten Faktoren dieser Infinitesimalrechnung durchaus wieder auf den Prüfstand geraten können. Diese Teller haben bei aller handwerklichen Virtuosität, sinnlicher Erfassbarkeit und technischem Risiko eine elaborierte, gültige Form und gleichzeitig das offene Potential der Aufgabe gegenüber.
Das ist letztlich eine persönliche Kategorie, auf die sich sowohl die Künstlerin wie ihr Publikum einlassen. Auch wenn sie überzeugende Lösungen schafft und zeigt, fasst Ute Lohse ihre Kunst als etwas Freies und Veränderliches. Diese Zweispurigkeit von Wirklichkeit und Möglichkeit des so als Infinitiv Beschreibbaren verleiht ihr nachhaltige Frische gegenüber neuen Aufgaben, und dazu, dass weitere Arbeiten stets neu – und anders – entstehen können.

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